Das sichtbare Spektrum des Lichts ist ein Symbol für die Vielfalt und für sanfte Übergänge zwischen den Unterschieden. Um das Spektrum mit unserem limitierten Verstand zu begreifen, zerlegen wir es in Teile, die wir nummerieren und etikettieren. Dann berechnen wir Optiken, entwickeln Sensoren und optimieren Bildalgorithmen. So lassen sich die Geschichten in den Bildern präzise darstellen, bequem verbreiten und leicht ordnen.
Mit der Ordnung verschwinden die Bilder in gekennzeichneten Schubladen, Kartons oder Dateiverzeichnissen. Die Etikettierung ist dennoch nötig. Wir brauchen sie wie die Kennzeichnung des Eingangs zu einem großen Gebäude. So wie die Nummerierung seiner Etagen und die Beschilderung der Zimmer. - Oder wie die Kapitelnummern in einer langen Geschichte.
Doch beim erneuten Betrachten versuchen lebendige Bilder immer wieder, sich unserer rationalen Ordnung zu entziehen. Sie wollen ihr Eigenleben bewahren.
Die Landschaft ist das weise Gesicht und die alte Seele einer Region.
Über Jahrhunderte hinweg prägt sie mit ihrer Natur, ihrer Topografie und Geologie und ihren kulturellen Elementen die Lebensweise und das Denken der Menschen.
Dieses Gesicht zu porträtieren ist wie ein Stück Archivierungsarbeit. Denn produktionsgerechte Flurbereinigungen und wuchernde Siedlungsflächen verwandeln unsere Landschaften unaufhaltsam in gesichtslose, normgerechte Wirtschafts- und Siedlungsgebiete mit fragwürdiger Lebensqualität.
Ein Objekt ist Menschenwerk. Es symbolisiert eine Absicht und die Willenskraft des Menschen.
Objekte erhalten ihre Seele aus dem Zusammenhang, in den sie eingebettet werden. Fehlen uns Wissen und Verständnis, um einen Kontext, einen Nutzen oder gar eine genaue Funktionsweise zu erkennen, zieht ein Objekt Lebens- und Strahlkraft aus seiner Rätselhaftigkeit.
Es ist eine herausfordernde Aufgabe, die Seele eines Objekts in einem Foto einzufangen. Seine schrittweise Deutung und Enträtselung ist immer eine aufregende Entdeckungsreise.
Nichts sonst zieht unseren Blick so reflexartig auf sich, wie andere Menschen.
Möglicherweise ist dieser Reflex in den tiefsten Strängen unseres Genoms verankert. Schließlich sind andere Individuen unserer Spezies aus vielerlei Gründen für uns hoch interessant. – Kommt da ein potentielles Date daher, ist es ein guter Freund, eine mögliche Rivalin oder die lang erhoffte Hilfe aus dem Familienclan?
Der Mensch empfindet sich als das Zentrum seiner Welt. Diese Perspektive prägt seinen Charakter und rechtfertigt seine Individualität. Fotos von Menschen sind umso beeindruckender, je besser es dem Fotografen gelingt, die innere Perspektive seines Models zu erspüren. Genaue Beobachtung und ein Feingefühl für die Atmosphäre des Moments sind unverzichtbar.
Menschen so authentisch zu fotografieren, dass etwas von ihrer Persönlichkeit und ihrer Gemütslage sichtbar wird, ist die höchste Kunst, die ein Fotograf beherrschen kann. - Oder er verlässt sich auf die allgegenwärtige Macht des Zufalls. Dann benötigt er ein wachsames Auge und eine schnelle Auffassungsgabe.
Unsere Welt ist farbig.
Frühlings- und Sommerfarben, der weißblaue Himmel, das Meeresblau und die fein abgestuften Grüntöne eines Waldes beeinflussen uns positiv. Ein trüber Grauschleier, der sich über die Farben legt, sorgt für ebenso trübe Stimmung.
Farben transportieren Gefühle und auch Botschaften. In Graffitis an der Hauswand, in schriller Plakatwerbung, in Verkehrszeichen und Hinweisschildern. Oder in der Flut all dessen, was uns über leuchtende rechteckige Displays präsentiert wird. Farbe macht die Dinge unterscheidbarer. Unsere Welt zeigt mehr Details.
Ein einzelner farbiger Akzent kann in einem monochromen Bild den Blick wie durch eine Lupe auf ein entscheidendes Bildelement lenken.
Warum nur Grautöne verwenden, wenn Farben doch so schön bunt und informativ sind?
Ein sehr hoher Detailreichtum kann leicht vom substanziellen Inhalt eines Bildes ablenken. Liegt dieser nicht in der Farbigkeit begründet, sondern beispielsweise in der Anordnung der Bildelemente, einer ungewöhnlichen Aufnahmeperspektive, der Mimik eines Gesichts, oder im subtilen Spiel des Lichts, lohnt es sich, den Sättigungsregler im Bildbearbeitungsprogramm versuchsweise auf die Nullposition zu drehen. Das so freigelegte Graubild kann aufgrund der Informationsreduktion eine dramatische Aussagekraft erhalten.
Diese Bildmanipulation wirkt nicht immer verbessernd. Der Vergleich eines Farbbildes mit dessen monochromer Version schult aber mit jedem Versuch unsere visuelle Wahrnehmung.
Experimentelle Verfremdungen lassen Stimmungen, die sich in einem Motiv verbergen, auf besondere Weise hervortreten.
Bei meiner Arbeit verwende ich immer wieder kreative Aufnahmetechniken. Die Bilder entstehen zwar geplant und mit kontrollierten Kameraparametern, dennoch sind die Verfremdungseffekte nicht exakt vorhersehbar. Für eine einzige gelungene Aufnahme benötige ich zahlreiche Versuche, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Die erzielten Effekte sind unumkehrbar in der Bilddatei fixiert. Die Weiterbearbeitung im digitalen Labor vollendet den Verfremdungsprozess.
So entstehen Aufnahmen, die weniger durch fotografische Details und perfekt umgesetzte Belichtungstechnik bestechen, sondern durch eingefrorene Dynamik, aufgelöste Strukturen und das Wiederbeleben des Lichts.
Ich halte eine Verfremdung für gelungen, die eine intensive Stimmung transportiert und die ihre inspirierende Kraft aus mehr als dem fotografisch eingefangenen Moment bezieht.